Mein Crowdfunding läuft noch drei Tage – und dank euch läuft es wirklich fantastisch! In der Zwischenzeit geht es weiter mit meinen „Heldinnen“. Heute, nach Louise, erzähle ich euch die Geschichte ihrer Schwester Katharina – einer sehr lustigen, aber auch sehr ernsthaften Frau.
Katharina Wagner (geborene Vossel)
Katharina Wagner war die Schwester von Louise und meine Uroma. Sie wurde am 21. Oktober 1905 in Weyer (NRW) geboren und starb im Jahr 2000. Ich habe diese alte Frau mit dem wunderschönen, endlos langen weißen Haar, was sie jeden Tag zu einem kunstvollen Knoten drapierte noch sehr gut in Erinnerung.
Mit Oma Katharina konnte man jeden erdenklichen Unfug treiben. Sie war die beste Geschichtenerzählerin die ich kenne und wir lauschten mit Begeisterung ihren Erzählungen aus längst vergangenen Zeiten – und einer Welt die so anders war, als die in der wir aufwuchsen.
Einmal haben wir einen alten Leiterwagen mit Eisenrädern bunt lackiert und unsere Uroma in Pantoffeln über den Wendehammer vor dem Haus gezogen. Sie fand das mit ihren 93 Jahren ungeheuer unterhaltsam.
Katharina wuchs als ältestes Mädchen in ihrer Familie auf und war somit verantwortlich für die Erziehung der jüngeren Kinder. Sie wurde früher von der Schule entlassen, weil sie auf dem Hof gebraucht wurde. Manchmal hatte sie keine Lust auf diese Aufgabe, sie war ja selbst noch ein Kind. Als ihr jüngstes Schwesterchen, sie nannte es immer nur Mariechen, noch im Säuglingsalter an Krämpfen starb, sagt ihre Mutter unüberlegt in ihrem Schmerz: „Hättest du dich mal besser um das Kind gekümmert“. Das hat meine Uroma nie überwunden. Sie weinte immer, wenn sie uns diese Geschichte erzählte und das tat sie oft.
Katharina konnte sehr ernst, aber auch sehr lustig sein. Sie liebte den Karneval und sang für ihr Leben gern. Als junge Frau ging sie nach Köln, arbeitete dort im Haushalt verschiedener wohlhabender Familien und lernte über ihre Schwestern ihren zukünftigen Ehemann Julius Wagner kennen.
Sie heirateten 1936 und zogen bald darauf von Köln nach Bad Münstereifel, wo mein Urgroßvater sich als Schneider selbstständig machte. Sie bekamen zwei Kinder und kurz nach der Geburt der Tochter meldete Julius sich freiwillig zum Wehrdienst – er war als einziger Schneider in der Region bereits oft zurück gestellt worden, die Leute begannen darüber zu reden und zu urteilen, so dass er sich zu diesem Schritt entschied.
Während ihr Mann als Sanitäter an der Front um sein Leben bangte, zog Katharina mit den beiden Kindern zurück auf den Hof ihrer Eltern in Weiher, den sie mit ihren beiden Schwestern Louise und Elisabeth betrieb. Der Krieg schrieb viele dramatische Geschichten für die Frauen von Weyer. Als er schließlich zu Ende war, kehrte Julius nicht nach Hause. Er galt als vermisst, wie schon einige Male zuvor. Alle waren sich sicher, dass er an der Front gefallen war. Nur Katharina glaubte noch an die Rückkehr ihres Mannes.
1947, einen Tag vor Heiligabend, stand er in einem Russenmantel plötzlich vor der Tür. Er war so ausgemergelt, dass Katharina vor Schreck in Ohnmacht fiel. Seine Tochter, meine Oma, ergriff die Flucht ins nächstgelegene Bett, weil sie diese bleiche Gestalt, die da plötzlich aufgetaucht war, nicht kannte. Ihr Bruder, der etwas älter war, freute sich unglaublich. Das ganze Dorf stand Kopf, die Meisten allerdings glaubten, dass er es nicht überleben würde. Aber er wurde gesund.
Die ganze Familie zog zurück nach Bad Münstereifel, wo der Schneiderbetrieb wieder aufgenommen wurde. Einige Jahre später bekamen sie noch eine Tochter.
Meine Uroma war eine Frau, die sich ihrer natürlich innewohnenden Würde bewusst war. Sie sagte immer: „Vor unserem Herrgott Knie ich nieder aber vor keinem Menschen.“
Als ihre jüngste Tochter den beliebten Kaplan aus Münstereifel heiratete, weil sie sich liebten und ein Kind erwarteten, stellte sie sich ohne zu zögern hinter die beiden.
Damals war das eine Ungeheuerlichkeit. Manch einer wechselte geradewegs die Straßenseite, wenn er Katharina in der Stadt begegnete. Doch Katharina ging hoch erhobenen Hauptes ihrer Wege.
Selbstverständlich stand sie auch hinter ihrem Sohn, der als Piester nach Afrika gegangen war und einige Jahre später mit seiner Frau und vier Kindern nach Bad Münstereifel zurück kehrte. Der Skandal um die Familie Wagner war komplett, auf diesen Menschen musste wohl ein Fluch liegen – aber meine Familie hat sich zum Glück nie sonderlich um solche Äußerlichkeiten gekümmert.
Katharina lebte bis zum Ende ihres Lebens mit meiner Oma unter einem Dach. Ihr Mann starb früh, er konnte den Krieg nie ganz verarbeiten. Mit ihm hatte sie drei Kinder, neun Enkelkinder und vier Urenkel, die sie kennen lernen durfte. Eine davon war ich. Oft schaue ich auf ihr Bild und wundere mich, über diesen großen Graben der da zwischen uns liegt. Jahrzehnte, fast ein ganzes Jahrhundert. Und trotzdem erinnere ich mich so klar an all ihre Geschichten.
Geschichten, wie ich sie nie erleben werde. Ein Teil von ihr lebt in mir weiter und ich bin sehr dankbar dafür, denn sie war eine starke und selbstbewusste Frau, von der ich mich nur zu gerne inspirieren lasse.
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