Krieg und Musik

Miriam Hanika beim Friedenskonzert der Soroptimist Lauterbach

4. März 2022

Während die halbe Welt gegen den Krieg in der Ukraine protestiert, sind die ersten Opferzahlen veröffentlicht worden. 10.000 Menschenleben lese ich da – und dass diese Zahlen nicht offiziell sind. 10.000. Das ist eine Zahl, die für mich unbeschreiblich groß ist, besonders, wenn man sie in Menschenleben denkt. 10.000 Menschen, die eine Zukunft vor sich, eine Vergangenheit hinter sich, die eine Familie und Träume hatten. Wie soll ich mir das denn überhaupt vorstellen können, gemessen am Wert meines eigenen, kleinen Lebens?
Es gelingt mir einfach nicht.

Die Geschichte hat immer wieder erschütternde Zahlen hervorgebracht, aber diese Zahlen waren vergangen – oder weit weg. Wenn man die westliche Hemisphäre betrachtet hat, konnte man in dem falschen Glauben aufwachsen, dass die Menschen klüger geworden sind. Natürlich sind sie das nicht und jeder Krieg, egal ob in Europa oder anderswo, ist eine Erinnerung an diese Erkenntnis.
Der Mensch bleibt ein Mensch mit all seinen Fehlbarkeiten und unser Leben hier bleibt eine Bewährungsprobe.

Reiter und Gergiev

Während in der Ukraine Tausende ihr Leben verlieren, für Nichts und wieder Nichts, und der russische Präsident im Fernsehen den gefallenen russischen Soldaten gedenkt (was für eine Farce), ist in der klassischen Musikerwelt eine zermürbende, aber dennoch wichtige Diskussion ausgebrochen. Darüber, ob es richtig ist, dass der Münchner Oberbürgermeister (OB) Dieter Reiter den russischen Dirigenten und Putin-Freund Valery Gergiev gefeuert hat und warum sich Anna Netrebko nicht politisch äußern will. 

Es soll hier nicht um Gergiev und Netrebko gehen, diese beiden Namen sind bloß Platzhalter. Es geht mir um die Frage, ob man als Künstler eine Pflicht hat, sich politisch zu positionieren und was es für uns als Künstler bedeutet, das zu tun.

Die Kunst und der Mensch dahinter

Wenn ich Künstler werde, nehme ich in Kauf, dass ich bis zu einem gewissen Maße in der Öffentlichkeit stehe. 
In der Öffentlichkeit zu stehen bedeutet, bis zu einem gewissen Maße Einfluss zu haben. Ob ich nun Politiker, Lehrer oder Musiker bin – wenn ich andere Menschen beeinflusse, ist es an mir, diesen Einfluss verantwortungsvoll einzusetzen. 
Als Mensch, nicht als Musiker, liegt es mir völlig fern, die Arbeit, die ich mache, nicht zu nutzen, um öffentlich für ein friedvolles und nachhaltiges Miteinander einzustehen – auch wenn das vermeintlich nicht immer zum großen Erfolg führt. 

Vermutlich ist das aber der Knackpunkt: Zu viele Menschen, und damit meine ich nicht nur Musiker, trennen diese humanistischen Grundgedanken von ihrer Wirtschaftlichkeit. Da findet man plötzlich Ausreden, warum es ok ist, Waffen zu verkaufen, man findet Ausreden, warum es ok ist, mit einem unmenschlichen Regime oder mit einer zweifelhaften Industrie zusammenzuarbeiten. 

Ich und Spotify

Ich selbst mache das auch. Spotify steht seit Wochen in der Kritik. Ausnahmsweise nicht, weil die armen Künstler an ihren Streams zu wenig verdienen, sondern weil der CEO Milliarden investiert hat – in ein Militärunternehmen. Mit dem Geld, was es durch die Kunst und Arbeit Anderer verdient. Viele Musiker haben Spotify verlassen und ich beschäftige mich immer noch mit diesem Gedanken. Es sind meist große, bekannte Künstler, die die Plattform boykottierten und damit einen Medienrummel ausgelöst haben. Gerade für unbekanntere Künstler ist Spotify aber eine Art Voraussetzung, wenn man auf dem Musikmarkt überhaupt nur existieren will. Positioniere ich mich? Oder nehme ich mir selbst die Stimme, etwas zu verändern, wenn ich mich heraus ziehe?

Nun ist es so, dass viele Musiker sich von vornherein nicht politisch oder sagen wir philosophisch (ich bin ja Humanistin und keine Politikerin) positionieren. Ich kann es gerade angesichts der momentanen Debatte verstehen, finde es aber trotzdem bedenklich, denn die Musik ist ein Katalysator, der die Menschheit sowohl verbessern als auch verschlechtern kann. Es ist ein großer Unterschied, ob ich ein Bild von Frida Kahlo oder von Adolf Hitler in meinem Wohnzimmer hängen habe und es macht einen Unterschied, ob ich in ein Konzert gehe, oder ob eine Armee Musik für ihre Feldzüge missbraucht, um den Feind zu verwirren oder zu foltern (wie es im Vietnamkrieg und in Guantanamo geschah, dazu meine Buchempfehlung „Krieg Singen“ am Ende des Textes).

Die Kunst ist nicht von Grund auf gut, wahr oder rein

Ich habe in einem vorherigen Text schon darüber gesprochen: Kunst ist nicht von Grund auf gut, wir müssen sie dazu machen und wir müssen sie im Sinne des Guten nutzen. Wenn wir Kunst aber zu etwas Gutem machen, dann können Wunder geschehen – wie, das brauche ich euch nicht zu erklären, denn wir erfahren sie wenn wir als Zuhörer, Zuschauer oder Protagonist Teil solcher Kunst werden.

Es ist jeden Tag auch meine persönliche Entscheidung als Künstlerin, wie meine Kunst sich entwickelt. Nur ich kann mich dafür oder dagegen entscheiden, für einen Pharmakonzern, den ich zweifelhaft finde, oder eine politische Partei, die mir nicht entspricht, musikalisch tätig zu werden. Manchmal gelingt das, manchmal nicht – sei es nun aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Unwissenheit. Das ist alles menschlich. Dann kann und sollte ich mich aber auch im Nachhinein davon distanzieren und versuchen, künftig andere Wege zu gehen. Das ist Teil der Aufgabe eines Künstlers, zumindest in meinen Augen.

Warum OB Reiter in meinen Augen das Richtige tat

Netrebko und Gergiev, um zu meinen Platzhaltern zurückzukehren, haben sich vor dem Krieg positioniert. Ihre Sympathie für den russischen Präsidenten wurde schon vor dem Krieg kritisiert. Für mich ist es eine logische Konsequenz, dass man von ihnen zum jetzigen Zeitpunkt eine erneute Positionierung erwartet. 
Man wusste schon vor Kriegsbeginn, dass die russische Regierung keinen humanistischen Kurs verfolgt. Spätestens jetzt wäre der Punkt da, wenigstens zu versuchen, sich davon zu distanzieren.
Im Internet liest man viel Empörung darüber, dass OB Reiter Gergiev gekündigt hat. Man dürfe Kunst nicht beschneiden. Wenn man anfinge sie zu verbieten, Musiker nicht spielen zu lassen, Bücher zu verbrennen, dann… Solche Bezüge herzustellen ist aber völlig irreführend. Sie sind lediglich ein weiterer, hinkender Nazivergleich. Der Antihumanist ist hier Putin und nicht OB Reiter oder die Stadt München. Man verbietet auch nicht die Kunst an sich, sondern entscheidet sich gegen eine Zusammenarbeit mit dem Unterstützer eines Kriegstreibers. 

Große, liberale Zeitungen schreiben von dem Risiko, dem man Gergiev aussetzt, wenn er sich jetzt gegen Putin positionieren muss. Vermutlich ist da etwas dran. Aber so hart es klingt: Er ist ein erwachsener, hoch gebildeter Mann. Hätte er sich das nicht vorher überlegen können? Bevor seine Karriere untrennbar mit dem krankenden russischen System in Verbindung geriet? Vielleicht hätte auch ein allgemeiner Satz gereicht, so etwas wie „Ein Krieg darf nicht passieren.“. Es kam aber – Nichts.

Klar ist: Wenn man sich als Künstler soweit „verkauft“, dass man mit großen Institutionen zusammenarbeitet, für Ruhm, Ehre und Geld, dann muss man die Folgen tragen können.

Warum wir uns positionieren müssen

Die klassische Musik-Szene erinnert mich manchmal an die katholische Kirche: Die Basis kämpft für ihre Schönheit und den Idealismus, während die Institution an sich an ihrem Konservatismus und ihrer Instrumentalisierung krankt. Die klassische Musik wurde und wird instrumentalisiert und das nicht nur im dritten Reich, sondern bis heute. 

Müssen wir uns also positionieren? Was für eine Frage! Natürlich müssen wir das! Egal ob klassische Musiker oder Subkultur! Wir müssen uns unsere Musik zurückerobern, wir Musiker und Menschen, immer und immer wieder, jeden Tag aufs Neue, mit jeder Entscheidung, die wir treffen. Und wir müssen sie zurückfordern, wenn sie missbraucht wird, denn das geschieht oft genug. 

Veränderung beginnt bei mir – und lässt sich manchmal nicht erzwingen

Zurück zu mir – denn die Veränderung kann und muss, wie immer, nur bei mir selbst beginnen. Spotify war für mich nie besonders wichtig und das soll mindestens so bleiben. Es hat mich erschüttert, dass auch nur ein Cent, den jemand mit meiner Musik verdient, jetzt eventuell Teil eines Militärunternehmens ist. Sobald der Markt es zulässt, möchte ich diese Plattform verlassen und mich jetzt schon von ihr weitestgehend distanzieren.

Ich bin nach einiger Überlegung bei Bandcamp gelandet. Man würde sagen, dass dort eher eine andere Szene vertreten ist, aber die Idee dahinter ist gut. Noch ist auch keiner der CEOs als Tourist auf den Mond geflogen oder hat in Waffen investiert. Bitte folgt mir doch dahin, wenn ihr meine Musik streamen oder kaufen möchtet.

Letztes Jahr habe ich für das Friedenskonzert in Lauterbach eine Auftragskomposition geschrieben unter der Vorgabe „Nie wieder Krieg“ und ich dachte mir, dass es schwer wird, wieder ein Lied zu diesem Thema zu komponieren. Etwas in mir hat sich sogar gefragt, ob es das braucht. Was war ich doch naiv. Und wie sehr habe ich mich getäuscht.

Ich schreibe weiter meine Friedenslieder, so wie andere Liebeslieder schreiben. Auch wenn sie selten im Radio laufen werden und man dazu nicht abfeiern kann. Am Ende will ich das Gefühl haben, dass ich zumindest versucht habe, mit meiner Musik etwas zu verändern. 

Wir alle müssen uns positionieren und es ist eine Entscheidung, die ich täglich neu treffen kann. Ob ich nun das Mariinski-Theater leite oder Straßenmusiker bin. Die Verantwortung liegt bei uns selbst.

Meine Buchempfehlung zu diesem Thema

Darüber hinaus habe ich eine Buchempfehlung zu diesem Thema: 

KRIEG SINGEN von Detlef Diederichsen (Hg.), Holger Schulze (Hg.)

Wieso gehen Krieg und Musik so gut zusammen? Bei Kriegspropaganda und Kriegshetze kommt Musik eine entscheidende Rolle zu. Dem gegenüber steht eine Vielzahl von Musiken, die Frieden und Gewaltlosigkeit beschwören. Die Publikation versammelt theoretische Reflexionen, Textcollagen und Interviews zur Verbindung von Krieg, Technologie und Musik.

2 Kommentare

  1. Gerade angesehene, erfolgreiche und wegen ihr Kunst verehrte Künstler und Künstlerinnen sind für viele Menschen auch Identifikationsfiguren und üben so Einfluss aus nicht nur mit dem was sie sagen sondern auch mit dem was sie nicht sagen. Auch Schweigen wird so zu einem Statement. In diesen Platzhalterfällen zu einem Statement, das den Krieg mit all dem Leid als gerechtfertigt erscheinen lässt. Und sie verlängern so – ob sie das wollen oder nicht – den Krieg und so das Leid vieler Menschen. Konstantin Wecker hat einmal in einem Lied ( in einem anderen Zusammenhang ) gesungen : „Auch Schweigen ist Betrug“ … und dem ist nichts mehr zuzufügen.

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    • Danke, das sehe ich ganz genauso!

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