Musik braucht (k)eine Quote – das Weiblichkeitsproblem

Miriam Hanika mit ihrem Englischhorn zwischen hohen Schilfrohren

8. März 2023

Während wir hier in Deutschland über Quoten und Gendersternchen diskutieren, werden ein paar Flugstunden von uns entfernt Frauen dafür ermordet, wie sie sich anziehen. Der Kampf für Gleichheit und Gerechtigkeit wird uns so lange begleiten, bis wir es schaffen, über das Recht des physisch Stärkeren hinauszuwachsen – ob das jemals passieren wird, kann niemand vorhersagen.

Heute, am Weltfrauentag, berichten auf der ganzen Welt Frauen über das Schicksal ihres Geschlechts. Und egal wie privilegiert sie auch sein mögen, diese Diskussion muss geführt werden.

Ich bin sehr privilegiert, denn ich lebe in einem Land, in dem ich meine Meinung sagen und mich frei entfalten kann. Aber auch wir sind, das ist ja nichts Neues, ebenfalls weit entfernt von einer absoluten Gleichberechtigung.

Und so nutze ich am Weltfrauentag die Chance, ein Thema anzusprechen, was mich beinahe täglich beschäftigt, weil es die Welt betrifft, in der ich mich bewege.

Die Musik und die Quote

Seit einiger Zeit verfolge ich die Versuche, die Anzahl der Frauen in der Musikindustrie durch verschiedene Ansätze zu erhöhen. Mittlerweile findet sich in fast allen Förderanträgen ein Satz, dass Anträge von Frauen und Nicht-binären Personen erhöhte Chancen haben. Manche Veranstalter und Festivals haben sich selbst auferlegt, eine höhere Anzahl an Frauen einzuladen. Möglicherweise habe auch ich schon von diesen Quoten profitiert.

Der Gedanke, den Menschen, die in der Vergangenheit Benachteiligung erfahren haben, so zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, ist eigentlich sehr richtig. 

Aber in der Realität scheint es mir oft, als würde man Puderzucker auf einen verbrannten Kuchen streuen.

Denn die Wurzel sitzt viel tiefer: Unsere Gesellschaft hat ein Weiblichkeitsproblem, dem sie sich nicht stellen möchte. 

Und dieses Problem kann keine Quote alleine lösen, denn es betrifft kein Geschlecht, sondern unsere tausend Jahre alte Prägung durch das Patriarchat – unter der übrigens Männer genau so leiden, wie Frauen.

Die Musik und die Weiblichkeit

Was vielleicht viel wichtiger ist als eine Quote, ist für mich die Anerkennung von dem, was man im Allgemeinen weibliche Aspekte nennt. Man beschreibt das Weibliche gern als liebevoll, fürsorglich, weich, kreativ, hingebungsvoll und geduldig. Wo genau, darf sich all das momentan in unserer Gesellschaft manifestieren? „Das Weibliche“ ist einfach oft überflüssig und manchmal sogar regelrecht peinlich und irgendwie auch zu sentimental, zu direkt für unsere Zeit. Ein Punkt, an dem auch der klassische Feminismus leider oft krankt.

Klar ist, dass es nach wie vor die Männer sind, die in der Musikindustrie die Fäden ziehen. Viele versuchen zwar mittlerweile bewusst Frauen in Ihr Arbeitsumfeld einzubinden, um die weiblichen Aspekte in der Musik und die nachhaltige Integration der Frauen geht es aber meistens nicht. 

Was ich mir für die Frauen in der Musikindustrie wünsche, ist, dass sie gesehen und vor allen Dingen gehört werden, aufgrund der Qualitäten, die sie, wie Männer auch, besitzen.

Ich wünsche mir, dass sie Beachtung finden, nicht weil man leichter an Fördergelder herankommt, wenn man eine Frau mit im Boot hat und auch nicht, weil man sich durch die Auflistung von Frauennamen im Register „pinkwashen“ kann.

Ich wünsche mir, dass Frauen auf Bühnen stehen, nicht weil sie attraktiv sind und man sie gern inszeniert, sondern weil ihre Musik geschätzt wird und sie den kreativen Prozess wirklich mitgestalten – von Anfang bis Ende. Denn das ist, und das ist ein Fakt, noch viel zu selten der Fall.

Die Quote, die schon immer da war

Um noch einmal über die Quote zu sprechen: „Eine Quote ist totaler Blödsinn, denn wer gut ist, findet seinen Weg.“ Diesen Satz habe ich in den letzten Jahren mehr als einmal gelesen.

Dabei haben wir schon Jahrhunderte lang eine Quote: Jahrhunderte, in denen Frauen nicht musizieren durften. Einfach, weil es gesellschaftlich nicht akzeptiert war. Da wurden kleine Jungs kastriert, damit sie eine mädchenhafte Stimme haben, Männer haben Frauenrollen gesungen und Komponisten haben die Stücke ihrer Frauen als ihre eigenen ausgegeben. Das alles ist nicht allzu lange her. Jahrhunderte lang wurden unsere Hörgewohnheiten auf eine männlich gestaltete Musik geprägt. 

Auch ich habe das so durchlebt: die Musik, die ich hörte, war zu einem riesigen Anteil Musik von und mit Männern. Die Solisten, die ich auftreten sah, waren Männer. Die Lehrer, die mich (vor allem ab dem Punkt, als es professionell wurde, also ab der Hochschule) unterrichteten waren und sind zu einem überwältigenden Anteil Männer. Männer, die ich allesamt sehr schätze, deren Arbeit ich mehr als anerkennen und von denen ich unfassbar viel lernen durfte.

Jetzt auf dem freien Markt sieht es kein bisschen anders, vielleicht sogar noch schlechter aus. Labels, Agenturen und Festivals werden von Männern geleitet. Die meisten meiner freischaffenden Kollegen sind nach wie vor Männer.

Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass wir ein Umdenken brauchen. Aber vor allen Dingen brauchen wir also auch ein „Umhören“, damit sich in der Musikbranche nachhaltig etwas verändern kann.

Und darüber hinaus?

Wie findet man als Frau, oder auch als weiblich inspirierter Mann, in einer von Männlichkeit dominierten Welt seinen Weg?

Das zumindest ist eine Frage, die ich mir genau so immer wieder stelle. 

Um nicht aufzugeben, scheint mir eines besonders wichtig zu sein: an die Notwendigkeit dessen, was man in der Welt sehen will, zu glauben. Das Ganze ist dann mehr eine Berufung als ein Beruf. Mehr eine innere Notwendigkeit, als eine sinnvolle Entscheidung. Man muss wissen, worauf man sich einlässt und es am Ende des Tages genauso ändern wie akzeptieren.

Und so zäh es sein mag: Die Veränderung kommt. Dank all den mutigen Frauen und Männern, die bereit waren und sind, sich aus der Komfortzone zu bewegen, hat sich bereits vieles gewandelt. Aber diese Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Neulich wurde ich gefragt, ob das, was meine Lieder kennzeichnet, also den philosophisch-poetischen, oft eher unpolitischen Wunschtraum, die Welt zu verändern, nicht naiv sei. 
Doch ich frage mich: Ist es nicht mindestens genauso naiv zu glauben, man könne die Welt durch das verbessern, wovon wir ohnehin schon zu viel haben, Härte, Aggressivität, pedantische Logik? 

Und zumindest davon bin ich überzeugt: Der nächste Schritt in Richtung Gerechtigkeit und Gleichstellung führt, für uns alle, über die Weiblichkeit.

1 Kommentar

  1. Liebe Miriam,
    danke für deine Gedanken.
    Meine wichtigste Anmerkung kommt aus einem inneren Protest, als ich die dir gestellte Frage nach dem „eher unpolitischen Wunschtraum“ gelesen habe. Das wollen uns die einreden,die Angst vor der Freiheit der anderen haben. Die sich selber dauernd Fesseln anlegen, weil sie nicht begreifen, wie wertvoll und wichtig ihre eigene Freiheit und die Freiheit der Anderen ist.Die sich und uns dauernd einreden, dass Wunschträume, Utopien unpolitisch sind. Aber sie sind das Wichtige und das Wichtige soll unpolitisch sein? Aber das Leben ist politisch.
    Traurig nenne ich DIE, welche denken, das Herz sei Privatsache und in der Politik müsse es doch realistisch zugehen.
    Wann merken denn die, die nicht mit dem Herzen denken können, dass ihre Art der Gestaltung allen schadet?
    Macht haben kann ich nur, wenn irgendwo andere machtlos sind. Macht ohne machtlos kommt nicht vor.
    Wenn wir – meist Männer-, die wir Haben, nicht verstehen, dass Verzicht für uns Gewinn ist, werden wir nicht begreifen, was Leben ist.Weniger haben – mehr atmen – anderen mehr lassen.
    Beim Nachdenken über Frauen in der Kunst fällt mir auf, dass mir kaum aufgefallen ist, dass es wenige sind. In meinem Leben waren es immer viele und vor allem Wichtige. Angefangen von der Superheldin meiner Kindheit Pippi Langstrumpf über Janis Joplin und Joan Baez, Suzi Quatro, Ulla Meinecke, Ina Deter, Edith Piaf, Alexandra, Selin Dion,Sissi Perlinger,……… hin zu Nadine Fingerhur, Ronja Maltzahn, Sarah Straub und Miriam Hanika – eine schöne Reihe;)
    Ich freue mich auf das Konzert im Mai.
    Herzensgrüße aus Kiel von Jo

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert